Ästhetik der Rache


Von diesem dunklen Impuls, der mindestens einmal im Leben eines jeden jungen Geistes auftaucht. Dieser Impuls, der Tausende von jungen Menschen meiner Generation dazu bringt, sich aus dem Leben zurückzuziehen, sich in sich selbst zu verschließen, eine Wunde zu bedecken, die sie dennoch nicht heilen lassen, in dem Glauben, den Sinn ihres Daseins zu finden. Sie stürzen sich in eine Art ewiges Fegefeuer, führen einen Krieg gegen sich selbst, einen Krieg ohne Waffenstillstand. Eine Art Versklavung des Schmerzes, genährt von Resten verblendeter Theorien, die direkt von jenseits des Atlantiks zu uns gelangen.

 

 


Ich sehe euch, Leute. Ich war wie ihr, und irgendwo bin ich es immer noch ein wenig. Ihr seid nicht allein, und ich sage euch eines: Lasst euch nicht unterkriegen. Wenn man sich leer fühlt, ist es sehr verlockend, sich als dunkler Ritter der Rache zu träumen, sich von seinem Hass leiten zu lassen und sich in ihn zu verlieben. Aber das bleibt nicht ohne Nebenwirkungen. Heute werden wir über euch sprechen, über diejenigen, die das Leben gebeutelt hat, manchmal von außen betrachtet nur durch scheinbar kleine Dinge, die aber innerlich einen Sturm ausgelöst haben.


Ein so gewaltiger Sturm, dass sie keinen Weg fanden, damit umzugehen, und einfach ertranken. Und seitdem beharren sie darauf, unter Wasser zu bleiben, aus Angst, vergessen zu haben, wie man tief durchatmet, und dass die Sonne ihnen die Augen verbrennen könnte, sollten sie es wagen, wieder aufzutauchen. Kurz gesagt, ich möchte über die Zerschlagenen sprechen, die einsamen Wölfe, die dunklen Kapuzenträger, die inneren Rächer. Über diejenigen, die sich heimlich als unzerbrechliche Monster träumen und alles tun, um diesem Bild so nah wie möglich zu kommen.


Über diejenigen, die sich isolieren, überzeugt, einen geheimen Krieg gegen einen Feind im Verborgenen zu führen, selbst wenn sie dafür wesentliche Teile ihrer echten Persönlichkeit verleugnen. Wenn es heute um euch geht, dann willkommen, macht es euch bequem, es wird euch guttun. Zumindest werde ich es versuchen. Und wenn es nicht um euch geht, dann vielleicht um euren Freund, euren Bruder, euren Partner, oder um den Fremden, dem ihr in ein paar Wochen begegnen werdet. Denn Hass, Rache und zermürbende Enttäuschung sind viel verbreiteter, als ihr denkt.


Nur ja, sie erklärt sich nicht von selbst. Man müsste schon ein wenig verrückt sein, um auf einen Tisch zu steigen und zu rufen: „Ja, auch ich hatte manchmal Lust, die ganze Welt zu verbrennen, um mich für meine persönliche Enttäuschung zu rächen. Auch ich stehe vor allem wegen meines stillen Rachedurstes auf. Auch ich halte meinen Hass am Leben, um trotz des Schmerzes weiterzugehen, und das funktioniert gut. Auch ich steche mir metaphorisch Erinnerungsmesser in die Seiten, und genau das gibt mir die meiste Zeit das Gefühl, am Leben zu sein.


Auch ich finde großen Trost darin, mich auf einen existenziellen Kreuzzug gegen die Welt einzulassen. Und letztlich: Auch ich liebe es, nach und nach ein Monster zu werden.“ Aber niemand will diesen Teil von sich zeigen. Niemand will diesen Aspekt öffentlich machen, und das ist normal. Das ist etwas, das man hegt, das man in sich brodeln lässt, das man tief in sich versteckt, fast eifersüchtig bewacht. Und doch gehört es zur menschlichen Erfahrung. Wenn euch dieses Gefühl unbekannt ist, dann gut für euch.


Aber es ist mächtig, verführerisch, und es existiert, ich versichere euch. Besonders in einem Jahrhundert der Leere und Ziellosigkeit wie dem unseren. Dieses Gefühl wächst schnell. Davon kann man sich leicht überzeugen, wenn man nur eine halbe Stunde in die überwiegend männlichen Ergüsse auf Instagram eintaucht. Die Energie, die dort herausströmt: Rache, die Ästhetik der Selbstmonströsisierung, Isolation, Opposition, physische oder existentielle Mutation, Selbstdämonisierung.


All das schreit in einem Satz: „Räche dich an deiner vergangenen Schwäche, indem du zu etwas anderem wirst, etwas Unzerbrechlichem.“ Aber diese Stimme vergisst hinzuzufügen: „Und verbringe dein Leben damit, an eine vergangene Wunde gebunden zu bleiben. Reagiere nur, anstatt zu agieren, und werde der Sklave deines Schmerzes.“ Und das ist, zugegeben, sofort viel weniger attraktiv. Etwas, das das Leben mich schmerzhaft gelehrt hat: Manchmal bedeutet wahre Stärke, zu akzeptieren, dass man verletzt wurde, und zu erkennen, dass es trotzdem nicht das Ende ist.


Manchmal bedeutet Mut, sich von dort wegzubewegen, die Verantwortung für den Schlag anzunehmen, ja,, aber ohne ihn als Schicksal zu akzeptieren. Es bedeutet, sich inmitten des Schmerzes daran zu erinnern, dass das Leben vor einem liegt, nicht hinter einem. Und an diesem Punkt, tut mir leid, es zu sagen: Rache ist das genaue Gegenteil. Das Einzige, gegen das du wirklich kämpfst, ist dein natürlicher Heilungsprozess. Du wühlst in deinem Schmerz wie ein Wahnsinniger. Dein größter Feind ist nicht „sie“, nicht „er“, nicht „sie“, nicht die Gesellschaft, nicht der Verfall, nicht die Eltern, nicht die Welt.


Dein wahrster Feind ist die Zeit. Du und die Zeit. Was dich am meisten erschreckt, ist die Vorstellung, dass all das eines Tages hinter dir liegen könnte. Und dass du dann erkennst, dass alles, was du bisher für deine Persönlichkeit gehalten hast, letztlich nur eine Maske war, gemacht aus unausgesprochenen Wünschen nach Rache, unterdrücktem Kummer und einem fast tödlich verletzten Ego. Und ja, ich weiß, wenn du verstehst, wovon ich spreche, wirst du mir den Mund stopfen wollen. Aber wenn ich das heute anspreche, dann zu deinem Wohl.




 

Auch zu meinem Wohl. Um die Wunde zu lüften. Um aus dieser dunklen Spirale herauszukommen. Was liegt unter deiner Wunde, unter deiner Maske? Ja, ich wollte diese Frage auch nicht beantworten. Deshalb habe ich mich in meinen Schmerz verliebt. So bin ich beinahe selbst ein Monster geworden. Es ist das klassische Muster. Und ich bin ein furchtbar gewöhnlicher Typ, was das betrifft. Ich habe wie ein wilder Hund an meiner Wunde gekratzt, um sie wieder zu öffnen, um den heißen Hass erneut durch meinen kalten Körper strömen zu spüren. Denn wenigstens da fühlte ich mich lebendig.

Aber ich habe nicht erkannt, dass ich mich dabei selbst zerstörte. Oder vielleicht wusste ich es, aber es war mir egal. Was mich erschreckte, war die Leere, die mich erwartete, wenn der Hass verschwinden würde. Was mich erschreckte, war die Tatsache, dass ich eines Tages keine Ausrede mehr haben würde, nicht zu handeln, nicht zu lieben, nicht zu leben. Und in einem Jahrhundert wie dem unseren, das uns ständig suggeriert, dass man entweder perfekt oder unverwundbar sein muss, ist das besonders schwierig zu akzeptieren.


Es ist ein Jahrhundert, das die Zerbrechlichen kaum toleriert. Ein Jahrhundert, in dem es leichter ist, sich als Monster zu träumen, als als Mensch zu leben. Ein Jahrhundert, das uns auslacht, wenn wir unsere Schwächen zeigen, uns verspottet, wenn wir scheitern, und uns vergisst, wenn wir uns selbst zurücklassen. Und doch ist es genau das, was ich euch heute sagen will: Es gibt nichts Kraftvolleres, nichts wahrhaftigeres, nichts menschlicheres, als zu akzeptieren, dass wir manchmal zerbrochen sind, dass wir manchmal verletzt sind, und dass wir trotzdem die Wahl haben, weiterzumachen.


Das ist keine Schwäche, das ist Mut. Der wahre Mut besteht darin, die Rüstung abzulegen, sich den Spiegel vorzuhalten und zu sagen: "Ja, ich habe Narben. Ja, ich habe Fehler gemacht. Ja, ich habe gelitten. Aber ich bin immer noch hier." Das ist es, was das Leben ausmacht, nicht, wie perfekt oder unzerbrechlich wir sein können, sondern wie wir trotz unserer Verletzlichkeit immer wieder aufstehen.


Die Ästhetik der Rache mag verführerisch sein. Sie mag uns ein Gefühl der Kontrolle geben, ein Gefühl von Stärke. Aber sie ist eine Illusion. Eine gefährliche Illusion. Denn in Wahrheit hält sie uns fest, an der Vergangenheit, an unserem Schmerz, an unseren Wunden. Sie verhindert, dass wir heilen, dass wir wachsen, dass wir wirklich leben.


Also, wenn du dich in dieser dunklen Spirale wiederfindest, wenn du spürst, dass dich dieser Impuls der Rache gefangen hält, dann erinnere dich daran: Du bist mehr als dein Schmerz. Du bist mehr als deine Wunden. Du bist mehr als die Maske, die du trägst. Es ist okay, loszulassen. Es ist okay, zu heilen. Es ist okay, Mensch zu sein.


Denn am Ende des Tages sind wir alle nur Menschen. Zerbrechlich, fehlerhaft, aber fähig, zu lieben, zu wachsen und die Schönheit des Lebens zu erfahren, selbst nach den dunkelsten Momenten. Und das ist es, was zählt. Das ist es, was wirklich zählt.

Ende.

 

 

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